Als Gerechtigkeit zum Geheimauftrag wurde – Adolf Eichmann und die Geschichte dahinter

  • Kurztitel: Als Gerechtigkeit zum Geheimauftrag wurde
Als Gerechtigkeit zum Geheimauftrag wurde – Adolf Eichmann und die Geschichte dahinter

Am 19. Juni 2025 besuchte unser Geschichtsgrundkurs unter der Leitung von Frau Scholz und Herrn Schumann im Filmmuseum Potsdam die Ausstellung „How to Catch a Nazi – Operation Finale: Die Ergreifung und der Prozess von Adolf Eichmann“.

Gestaltet wurde sie von einem Berliner Seminarkurs, der die Geschichte um einen der zentralen Täter des Holocaust eindrucksvoll, fundiert und differenziert aufbereitete. In der Zeit von 10:00–12:15 durften wir das Museum besuchen. Besonders war, dass wir zusätzlich von 12. Klässlern der Anna-Essinger-Schule in Berlin durch die Ausstellung geführt wurden und an einem Workshop teilnahmen.

Besonders beeindruckend war der Aufbau: Jede Station war doppelseitig gestaltet – auf der einen Seite Eichmanns Perspektive, seine Dokumente, seine Sprache, auf der anderen Seite jüdische Stimmen, Überlebendenberichte und gesellschaftliche Kontextualisierung. Diese direkte Gegenüberstellung ließ das Unfassbare greifbar werden – nicht als abstrakte Geschichte, sondern als Konfrontation mit Täter und Opfer, mit Plan und Leid, mit bürokratischer Sprache und menschlicher Erfahrung. Insgesamt besteht die Ausstellung aus neun Hauptstationen (siehe Lageplan) und umfasst 70 Fotografien sowie 60 Exponate – eine detailgetreue und tiefgründige Aufarbeitung.

Eingeleitet wurde die Ausstellung mit einem Überblick über Eichmanns Leben: Geboren am 19. März 1906 in Solingen, wuchs er nach dem Tod seiner Mutter in Österreich auf. Er brach die Schule ab, arbeitete für eine Ölfirma und hatte in seiner Jugend enge Freundschaften mit jüdischen Kindern. Später trat er der SS bei und stieg zum SS-Obersturmbannführer auf. Er war maßgeblich an der Organisation der Deportationen beteiligt – ein Planer und Vollstrecker der sogenannten „Endlösung“.

Wie konnte einer der größten Nazi-Verbrecher jahrelang verborgen bleiben – und warum war seine Festnahme sowie der Prozess so herausfordernd und umstritten?

Nach dem Zweiten Weltkrieg floh Eichmann wie viele NS-Verbrecher über die sogenannte „Rattenlinie“ nach Argentinien. Unter dem Namen Ricardo Klement lebte er dort mit seiner Familie ein unauffälliges Leben – mehr als ein Jahrzehnt unbehelligt. Die Ausstellung zeigte anschaulich, wie es möglich war, dass ein Mann mit dieser Vergangenheit über Jahre hinweg der internationalen Strafverfolgung entgehen konnte.

Die entscheidende Wendung brachte die Schülerin Silvia Hermann. Sie freundete sich mit einem jungen Mann namens Nick Eichmann an, dessen Aussagen ihren Vater, den Holocaustüberlebenden Lothar Hermann, stutzig machten. Dieser informierte Fritz Bauer, den hessischen Generalstaatsanwalt. Aus Misstrauen gegenüber deutschen Behörden gab Bauer die Information an den israelischen Geheimdienst weiter – eine Entscheidung, die letztlich die streng geheime Operation ermöglichte.

Ein Team aus 11 Geheimagenten wurde nach Argentinien entsandt, jeder mit klar definierter Aufgabe: Beobachtung, Fahrdienste, medizinische Betreuung, Kommunikation. Die Agenten studierten Eichmanns Leben minutiös – bis hin zu seiner Buslinie. Eines Abends warteten drei von ihnen in einem Auto in der Nähe seiner Adresse und entführten ihn. Die Szene, in der einer der Agenten beim Zugriff Handschuhe trug – aus persönlicher Überzeugung, da seine Schwester in einem Konzentrationslager ermordet worden war – wurde besonders eindrücklich dargestellt. Eichmann soll in dem Moment lediglich gesagt haben: „Ich ergebe mich.“ Wenige Tage später unterzeichnete er eine vorbereitete Einverständniserklärung zur Überstellung nach Israel. Die Ausreise erfolgte als vermeintlicher Mitarbeiter einer israelischen Fluggesellschaft, begleitet von einer Delegation. Als Absicherung hatte das Team einen alternativen Fluchtweg über ein Frachtschiff vorbereitet – ein Detail, das die enorme Vorsicht und das Risiko dieser Aktion verdeutlichte.

Nach der Entführung wurde Eichmann nach Tel Aviv gebracht. Der Transport und die Umstände des Prozesses wurden im sechsten Teil der Ausstellung detailliert erläutert. Im Prozess saß Eichmann in einer rekonstruierten Glaskabine – ein Originalnachbau, der in einer Nische der Ausstellung zu sehen war. Sitzplätze für Besucher*innen, ein Kurzfilm mit Prozessausschnitten sowie Zeugenaussagen machten diesen Abschnitt besonders eindrücklich.

Der Prozess begann am 11. April 1961 in Jerusalem und war der erste seiner Art, der international live übertragen wurde. Über 100 Holocaustüberlebende sagten aus – viele zum ersten Mal öffentlich. Ihre Zeugnisse machten die bürokratische Planung und Durchführung des Völkermords greifbar und veränderten das kollektive Bewusstsein. Besonders emotional war der Moment, als der Autor Yehiel Dinur während seiner Aussage zusammenbrach – überwältigt von der Erinnerung, der Symbolik des Ortes und der Gegenwart Eichmanns.

Eichmann berief sich auf den Befehlsnotstand, doch das Gericht erkannte seine aktive Rolle, seine Eigeninitiative und ideologische Überzeugung an. Die Anklage basierte auf dem israelischen „Gesetz zur Bestrafung von Nazis und Nazihelfern“ von 1950 und umfasste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen das jüdische Volk. Am Ende wurde Eichmann zum Tode verurteilt und am 31. Mai 1962 hingerichtet – bis heute die einzige zivilrechtlich vollstreckte Todesstrafe in Israel. Die Ausstellung blendete kritische Perspektiven nicht aus: War die Entführung völkerrechtlich legitim? Diente der Prozess allein der Gerechtigkeit – oder auch politischen Zielen? Und welche Verantwortung trägt ein Einzelner im System?

Ein Highlight war das interaktive Rollenspiel: Anhand weniger Details – manchmal nur eines Ohres – mussten wir NS-Täter identifizieren. Das vermittelte ein Gefühl für die Schwierigkeit und zugleich die Bedeutung der Suche nach Gerechtigkeit. Im anschließenden Workshop diskutierten wir eine moralische Fragestellung: Der Agent, der Eichmann packte, trug Handschuhe – aus Respekt vor seiner ermordeten Schwester. Die Ausstellung zeigte diese Handschuhe als Bronzeguss. Auf dieser Grundlage lautete die Frage: Was würdest du tun, wenn du über das Schicksal eines Menschen entscheiden müsstest, der jemandem, den du liebst, etwas angetan hat? Zur Wahl standen: 1. vor Gericht schicken, 2. rächen, 3. etwas anderes. Unsere Gruppe entschied sich für die erste Option – bewusst und überzeugt von der Notwendigkeit rechtsstaatlicher Aufarbeitung. Für uns war diese Diskussion besonders bewegend: Gerechtigkeit sollte sichtbar und nachvollziehbar sein – gerade dann, wenn sie schwerfällt.

Rückblickend war die Ausstellung eine dichte, anspruchsvolle und bewegende Erfahrung. Dass sie von Berliner Schüler*innen erarbeitet wurde, sorgte für Nähe und Aktualität – auch wenn mehr Zeit für die einzelnen Stationen wünschenswert gewesen wäre. Ihre Stärke lag in der Verknüpfung von historischen Fakten, emotionalen Zeugnissen und ethischen Fragestellungen – eine Kombination, die lange nachwirkt. Israels damaliger Premierminister Ben-Gurion brachte das Ziel des Prozesses einst auf den Punkt: „Alles […] was gegen die Juden verübt wurde, muss aufgedeckt werden.“ Genau das hat diese Ausstellung geleistet – eindrücklich, differenziert und schmerzhaft wichtig.

Es ist zu sagen, dass die Ausstellung sowohl informativ und lehrreich war als auch beeindruckend und berührend. Die Arbeit, die geleistet wurde, um einen Nazi zu „catchen“, ist unglaublich tiefgründig und kompliziert. Noch heute laufen Prozesse gegen NS-Täter*innen – erst letztes Jahr wurde eine Mittäterin vor Gericht gestellt. Auch ist es immer wieder ergreifend zu sehen, wie NS-Täter denken – und es bleibt erschütternd, all die Bilder zu betrachten, in denen tote Menschen auf dem Boden liegen. Alles in allem ist es eine sehr gelungene Ausstellung mit kurzen, aber gehaltvollen Texten, aus denen man viel lernen kann. Man muss sich jedoch Zeit nehmen, um die Kontexte und vor allem den Prozess zu verstehen.

Unsere Empfehlung: Unbedingt sehenswert – für Schulklassen, für Lehrkräfte, für jede und jeden, die Geschichte nicht nur lernen, sondern wirklich verstehen wollen. Und ein Appell an uns alle: Erinnerung ist keine abgeschlossene Aufgabe – sondern eine tägliche Verpflichtung.

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